Ehepaar Rot

Altes Ehepaar von Paul Holz auf artnet

 

4. Mai 2021

Ehepaar Rot (ca. 1957-1967 gekannt)

Wer denkt schon an
die kleine, bucklige Frau Rot?
Und an ihren transgender Mann ?
Sie sind seit fünfundfünfzig Jahren tot.

Damals waren sie ein Nichts, tabu,
und niemand hörte ihnen zu.

Verwirrt humpelte „Sie“ durch den Flur,
vom Schlafraum zur Küche und zurück –
mit beängstigendem Blick.

Und lächelte sie von unten schief zu mir hoch
hatte sie nur einen gelben Zahn …
Die Strickjacke zog sie verkehrt herum an.

Ich fürchtete geheim in ihr eine Hexe.
Doch tat sie nichts, sie war halt so …
Die Hexen waren anderswo …

Und sie hieß Olga.
Das klang sehr weit weg und fremd – wie „Wolga“.

Und „Er“, der Fritz, war lang und dünn,
wusste mit seinen Armen nicht, wohin.
Auch er schlurfte gebeugt herum,
in einer riesigen Hose.
Alles an ihm schien irgendwie lose,
als gehörte es nicht dazu.
Am Liebsten hatte er auf seinem kleinen Sofa seine Ruh.

Sie wurden ausgegrenzt, verspottet.
Ich wusste nicht, warum?
Aber die es taten
erschienen mir böse, dumm.

Die armen Alten waren ganz allein,
und keiner ging zu ihnen rein.
Auch ich tat´s nicht gerne, es roch dort nicht gut.
Ich sammelte dafür all meinen Mut

und ging mit, an Mamas Hand,
die die armen Rots mit der Welt verband.

Selten sah man Fritz und Olga über die Straße gehen
und im Tante Emma Laden stehen.
Schnell noch zum Metzger nebenan,
schnell wieder ins Haus und in ihr Zimmer.
Ängstlich waren die Beiden immer.

Was war ihnen geschehen im Krieg?
Wer hat sie verletzt?
Woher kamen sie, wie wurden sie
in dieses Haus versetzt?

Ich gedenke Euer, Ehepaar Rot.
Und damit seid ihr nicht
für immer tot.

 

Ein Text über unsere Nachbarn im Haus in Essen, gegenüber der Zeche Graf Beust, entsteht gerade. Ich denke wieder oft an unsere Nachbarn, die uns in diesem Haus so nah kamen, denn es gab weder Klingeln noch Knaufe von außen. Jede Einheit bestand aus zwei oder einem Zimmer und oft „lüftete“ man diese in den Flur hinein, das heißt, die Türen standen offen. Außerdem war das ja auch interessant, so bekam man immer das Neueste mit und konnte auch mal schnell jemanden hereinrufen oder einfach ein bisschen klatschen und tratschen. Da wir ganz oben wohnten, ging ich täglich mehrmals an diesen offenen Türen vorbei. Man bekam auch viel Elend mit, es war oft  unheimlich für mich. Als Kind war ich besonders begehrt bei den Alten. Meist ging ich sehr langsam hoch, mit Singen, denn die Akkustk war wunderbar, so schrecklich das Haus auch war. Auf jeder halben Etage blieb ich zudem am Fenster stehen, um in den schwarzen Hof zu schauen, aufs Schupppendach, wo die schönen Tauben unseres Nachbarn sich tummelten. Hinunter ging es schneller, denn ich sprang gerne mehrere Stufen auf einmal herunter oder rutschte auf dem Treppengeländer.

Die Ärmsten im Haus waren wohl dieses Ehepaar Rot, derer sicher niemand gedenkt.

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